Besuch in Ludwigsburg

Ich kam am 15. Vendémiaire [6. Oktober 1794] in Ludwigsburg an: Mein Vater, der über meinen Reiseplan informiert war, hatte mir einen Brief nach Tübingen gesandt, in dem er mich beschwor umzukehren, wenn ich noch Verbindungen nach Frankreich hätte, andernfalls würden seine Pflichten ihm gebieten, Polizeimaßnahmen gegen mich zu erwirken.

Glücklicherweise verfehlte mich dieser erbauliche Brief, und die erste Vorsichtsmaßnahme, die ich bei meiner Ankunft glaubte treffen zu müssen, war, bekanntzugeben und durch meine Freunde weitersagen zu lassen, dass meine Reise durch den Wunsch veranlaßt sei, nach so vielen Jahren Abwesenheit meine Familie zu umarmen; dass die Freundschaft für mein Geburtsland mich verpflichte, ihm einige heilsame Ratschläge zu geben, ebenso deutliche Beweise meiner Anhänglichkeit an seine Verfassung und selbst meiner Achtung für seine Regierung, soweit ihr Verhalten dem öffentlichen Interesse und der Vorsicht, welche die Umstände erfordern, Rechnung trägt.

Trotzdem hielt es mein Vater für notwendig, dem Herzog meine Ankunft zu melden; dieser erklärte, aus Rücksicht auf die langjährigen Dienste meines Vaters meine Anwesenheit übersehen zu wollen.

Diese Antwort war wenig tröstlich für einen Menschen, der die Unbeständigkeit des Fürsten und die erbärmliche Natur derjenigen, die ihn umgeben, bereits kannte. Der heutige Herzog, ein sechzigjähriger Greis, war zu Zeiten des harten Regimes von Karl Eugen die Hoffnung des Landes gewesen. Die Gerechtigkeitsprinzipien, die konstitutionellen Zusicherungen, die er unablässig wiederholte, erhöhten noch die Sehnsucht der Bewohner nach dem Augenblick, der Ludwig Eugen auf den Thron tragen würde.

Hier sitzt er seit einem Jahr; die allgemeine Aufmerksamkeit war auf den neuen Regenten gerichtet, man erwartete von ihm die weisesten Maßnahmen, die wohltätigsten Dekrete, die ausgeprägteste Harmonie zwischen dem Herzog und der
Assemblée des états; kurzum, man hatte gehofft – und was haben die Menschen nicht schon alles erhofft! –, das Goldene Zeitalter würde wiederkehren.

Niemand konnte weniger all diesen Hoffnungen entsprechen als Ludwig Eugen: Ein guter Privatmann und Familienvater, besitzt er alles zu einem friedlichen und frommen Bürger, aber er besitzt keinerlei Talent, einen Staat in so kritischen Augenblicken, in einer von so vielen Gewittern belasteten Zeit zu regieren. Zu alt, um aktiv zu sein, hindert ihn auch sein Temperament an jeglicher Aktivität; zu ehrsam, um sein Ohr den hinterhältigen Ratschlägen derer zu leihen, die die Feinde einer Verfassung sind, welche ihren ehrgeizigen Absichten zuwiderläuft, überlässt er sich gleichwohl einigen beschränkten Adligen, einem Kammerherrn namens Baron von Senft, den man eher bedauern als hassen müsste, einem Baron von Schenk, Oberstallmeister, der kaum das notwendige Talent besitzt, um seine Pferde zu dressieren — mit einem Wort, Ludwig Eugen hat sich bis jetzt als zu ehrsam, zu gelähmt erwiesen, freche und hinterhältige Pläne zu erfassen, und als zu abergläubisch, patriotischen Ratschlägen zu folgen.

Er hat sich in die Hände von Unwissenden begeben, die ihn von allen öffentlichen Angelegenheiten fernhalten, um alle Menschen von Talent und Beharrlichkeit, die allein ihn vielleicht den Klauen eines Haufens von unlauteren Höflingen entreißen könnten, von ihm fernzuhalten.

Diesem Übel fügen die Priester noch das ihre hinzu. Sie üben ausgesprochene Macht über einen Fürsten aus, der einst die Messe auf dem Bauche seiner Gattin lesen ließ, in der Absicht, sie dadurch mit einem Sohn zu schwängern. […]

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